Umweltzerstörung und Gesellschaftsform

Ein historischer Überblick

Bernhard Brosius
Mannheim 2010


Dieser Text erschien zuerst in Inprekorr, 466/467, 21 - 32, 2010.


Inhaltsverzeichnis:


Kultur und Ökosystem

Die Umweltzerstörung im Kapitalismus ist umfassend; - sie erstreckt sich über die ganze Erde von Pol zu Pol und betrifft die Atmosphäre, die Ozeane und die Landmassen. Begreifen wir mit Marx die Ökonomie als den Stoffwechsel der Gesellschaft mit der Natur, indem der Mensch Rohstoffe der Natur entnimmt, Produkte daraus erschafft und, nachdem diese ihre Eignung verloren haben, sie als Müll wieder in die Natur entlässt. Dann besteht das Desaster der kapitalistischen Ökologie darin, dass Natur nur noch als Rohstofflager und Müllkippe in Erscheinung tritt. Die Erde ausschließlich als Rohstofflager und Müllkippe zu nutzen führt einerseits zur Verknappung von Rohstoffen, andererseits zur Zerstörung der Natur sowohl bei der Entnahme der Rohstoffe (Bergbau, Holzindustrie, Hochseefischerei, Ölförderung, ...) als auch bei der Überlastung durch Müll (Müllstrudel in den Ozeanen, Kohlendioxid in der Atmosphäre, radioaktive Abfälle, ...).

Doch schon vor dem Kapitalismus brachen Gesellschaften als Folge von Umweltzerstörung zusammen, so dass sich die Frage stellt: Gibt es Zusammenhänge zwischen Umweltzerstörung und Gesellschaftsform? Oder anders gefragt: Wird eine sozialistische Gesellschaft zwangsläufig auch ökologisch sein?

Die Antworten auf letztere Frage schwanken zwischen den Polen, Sozialismus sei notwendigerweise ökologisch, sei nicht notwendigerweise ökologisch, oder gar, Ökologie als Ganzes sei nur ein bürgerliches Konstrukt.

Diese Fragen wurden bisher abstrakt diskutiert, da empirische Untersuchungen schlecht zugänglich oder mangels Daten kaum möglich waren. Da inzwischen archäologische Untersuchungen sehr viel mehr Gesellschaftstypen entschleiert haben, lassen sich weitere Gesellschaften, insbesondere die bewusst erschaffenen, revolutionär erkämpften, egalitären Gesellschaften des Neolithikums in diese Untersuchungen einbeziehen, so dass für solche Diskussionen inzwischen durchaus auch empirisches Material vorliegt.

Unter methodischen Aspekten ist wesentlich für eine ökologische Anthropologie, dass nicht das Verhältnis von Mensch zu Ökosystem, sondern das Verhältnis von Kultur zu Ökosystem entscheidend ist (Sieferle 1988: 318). Kultur gilt hierbei als spezifische Form von Technik (Produktivkräfte), Organisation (Produktionsverhältnisse), sowie Ideologie und Wissen (Überbau) (Sieferle 1988: 319). Die Einheit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wird als Basis bezeichnet, die Einheit von Basis und Überbau als Gesellschaftsformation. Kultur ist somit die Form, in welcher uns die konkrete Gesellschaftsformation entgegen tritt. Um die Auswirkungen der Ökonomien bestimmter Gesellschaftsformen auf die Natur zu untersuchen, müssen wir das Verhältnis der verschiedenen Kulturen zu ihren Ökosystemen betrachten und prüfen, ob verallgemeinernde Aussagen möglich sind.

Klassengesellschaften

Untersuchungen zur Dimension der kapitalistischen Umweltzerstörung sind Legion. Dass der Kapitalismus die beiden "Springquellen allen Reichtums untergräbt, die Erde und den Arbeiter", konstatierte bereits Marx (1890: 530). Übergehen wir daher, angesichts der offenkundigen und gut dokumentierten Zusammenhänge (z. B. EIN 2001 - 2010) diesen absoluten Gipfelpunkt an Naturzerstörung in der Menschheitsgeschichte.

Im Rahmen des europäischen Feudalismus gilt die Krise des 14. Jahrhunderts (das "schwarze Mittelalter") als direkte Folge der ökologischen Zerstörungen im 12. und 13. Jahrhundert (das "goldene Mittelalter") (Bowlus 1988). Neue Produktivkräfte wie der Räderpflug, das Dreifeldersystem und die Nutzung des Pferdes als Zugtier (p. 17) führten ab 1050 zu einer deutlichen Erhöhung der Pro-Kopf-Produktivität, so dass große Überschüsse erwirtschaftet wurden. Um die Ansiedlung von Bauern attraktiv zu machen, lockerten die Grundherren die Pacht (p. 18), gleichzeitig konnten neue Herrschaftsgebiete des Adels einfach durch Rodung einer Waldfläche erschaffen werden (p. 16). Diese günstigen Bedingungen erlaubten ein deutliches Bevölkerungswachstum, das in Ostkolonisation und Binnenkolonisation mündete (p. 17). Große, landwirtschaftlich genutzte Flächen entstanden durch Abholzungen und die Trockenlegung von Sümpfen. Zwischen 1050 und 1300 wurden aus bewohnten Inseln im Urwald kleine Waldinseln inmitten riesiger Weide- und Anbauflächen (p. 15f). Auch die Jagd nach Prestige tat das Ihrige. Um 1 m² farbiges Glas eines Kathedralenfensters herzustellen, benötigte man Holz von 100 m² Wald. Tausende Quadratmeter Wald wurden verfeuert nur für die Glasfenster, mit denen die Dombauherren miteinander wetteiferten (p. 24).

Die Folgen der Abholzungen und Trockenlegungen waren starke Überschwemmungen und Erosion, die Zunahme von Schädlingsplagen, Vernichtung der Kornernte und eine quälende Holzknappheit (p.16). Auch die "Laissez - Faire - Politik, die einer Unmenge von Unternehmern erlaubt hatte, die Bergwerksgebiete im Rahmen ungezügelter Konkurrenz in Wüsten zu verwandeln" (p.29), gilt als wichtige Ursache der ökologischen Degradation. Ab 1300 gaben die natürlichen Grundlagen nicht mehr genug her, um - gemessen an der vorhandenen Technologie - das Wachstum zu stützen (p. 23), ab 1315 kam es zu massiven, periodischen Hungersnöten. Und um weiterhin auf ihre Kosten zu kommen, erhöhten Adel und Klerus die Ausbeutungsrate (p. 24), die Abwärtsspirale war in Gang gesetzt.

Die ökologische Krise der Antike im Mittelmeerraum (Weeber 1993) war nur deshalb nicht genauso verheerend wie die heutige, weil "das Altertum schlicht nicht über die technischen Möglichkeiten [verfügte], die Umwelt so zu belasten, zu schädigen oder zu zerstören, wie es mit den Mitteln unserer Zivilisation möglich ist" (p. 15) - verheerend genug war sie dennoch. "Siegesgewiss blicken wir auf den Zusammenbruch der Natur. Was für ein Ende soll die Ausbeutung der Erde in all den künftigen Jahrhunderten noch finden? Bis wohin soll unsere Habgier noch vordringen?", fragte bereits Plinius (p. 11). Massive, bleibende Schäden waren die Folgen bedenkenloser Ausbeutung der natürlichen Ressourcen (p. 19), insbesondere Kahlschlag, Bergbau und die Tierhetzen in Rom:

Totale Entwaldung zur Schaffung landwirtschaftlicher Nutzflächen (p. 23f), zur Gewinnung von Brenn- und Bauholz (p. 26) und zum Flottenbau (pp. 27 - 33) führte binnen kürzester Zeit zur vollständigen Bodenerosion. Die Entwaldung Attikas, der ägäischen Inseln (p. 12) sowie die Verbrennung der nordafrikanischen Wälder in den römischen Fußbodenheizungen Italiens (p. 35) waren irreversibel - diese Regionen wurden nie wieder bewaldet.

Im Bergbau zeigte sich wieder besonders deutlich die Umweltzerstörung durch Besitzgier (p. 64). "Der Geist des antiken Bergbaus war eine profitorientierte Raubbau-Mentalität" (p.72).

Die Folgen waren Erdrutsche, Bodeneinstürze, Erschöpfung der Ressourcen und "Mondlandschaften" (p. 66). In kahlen Berghängen, unfruchtbaren Geröllfeldern und giftigen Schlackehalden bestimmen die Verwüstungen des antiken Bergbaus Ökologie und Landschaft in weiten Teilen Spaniens (p. 68) und Attikas (p. 67) bis auf den heutigen Tag (p. 12).

Zur Verwüstung ganzer Ökosysteme führte aber noch ein weiteres Moment: Die Dezimierung wilder Tiere bis zur Ausrottung für die Tierhetzen in den römischen Amphitheatern (pp. 133 - 167). Wenn alleine zur Einweihung des Colosseums 9.000 Tiere bei "Spielen" getötet und zur Feier von Trajans Sieg über die Daker 11.000 Tiere an 123 Tagen zum Vergnügen der Zuschauer abgeschlachtet wurden (p. 140), so verwundert es nicht, dass die permanente Schlächterei über 700 Jahre hinweg gewaltige geographische Räume, insbesondere Nordafrika, ihrer Großtierfauna beraubten (pp. 141 - 145). Die Löwen in Nordgriechenland, die Nilpferde in Unterägypten und die Elefanten nördlich der Sahara wurden vollständig ausgerottet (p. 146).

Doch die Umweltzerstörungen in Klassengesellschaften wurden noch sehr viel grundlegender untersucht. Im Jahre 2000 erschien eine umfassende Studie von Sing C. Chew über "World Ecological Degradation - Accumulation, Urbanization and Deforestation 3000 BC - AD 2000" (Chew 2000) (Fußnote:Wie in der Archäologie üblich, erfolgen Zeitangaben vor unserer Zeitrechnung mit dem Zusatz BC, Zeitangaben nach unserer Zeitrechnung mit dem Zusatz AD. 1). Die Vorgeschichte dieses Buches ist bereits aufschlussreich: Am Anfang standen Studien über die Kapitalakkumulation in der Holzindustrie, der weitere Untersuchungen zur Entwaldung der Erde und der Zerstörung der irdischen Ökosysteme folgten (p. vii). Chew untersuchte für den Zeitraum 3000 - 1700 BC das Zweistromland und die Induskultur, für 1700 - 1200 BC minoisches und mykenisches Griechenland, für 500 BC das klassische Griechenland, für den Zeitabschnitt von 200 BC - 500 AD das römische Reich, für die Epoche von 500 - 1800 Südostasien, China und Japan sowie die vor - und frühkapitalistischen Zentren in Europa einschließlich der europäischen Kolonien in Amerika und Ostasien, und für die Zeit von 1800 - 2000 den weltweit entfalteten Kapitalismus.

Da Chew für seine Untersuchungen schriftliche Quellen voraussetzt (p. vii), betrachtet er die schriftführenden Kulturen ab 3000 BC, d. h. seit Entstehung der Klassengesellschaft . Mit seinem Buch haben wir das erste, (fast) vollständige Screening zur Umweltzerstörung in Klassengesellschaften!

Besondere Bedeutung misst Chew dabei dem Holzverbrauch bei, der seit 5000 Jahren überall zu erkennen ist und einen guten Maßstab abgibt für Umweltzerstörung bzw. den generellen Umgang des Menschen mit der Natur (p. 5). Dabei ist zu beachten, dass der Handel mit Holz Regionen entwalden kann, die weit entfernt sind von jenen Zentren, die das Holz verbrauchen (p. 5).

Das Ergebnis von Chews Untersuchungen ist eindeutig: "Die Konsequenz der Erzeugung von Mehrprodukt als einem Schlüsselcharakteristikum der letzten 5000 Jahre war eine Serie von Kollisionen mit der natürlichen Umgebung ... In den meisten Fällen war die Beziehung zwischen Kultur und Natur ausbeuterisch, hauptsächlich, um die materiellen Voraussetzungen für ein hierarchisches System der sozialen Ordnung zu erfüllen. Die Folgen waren Verlust der Artenvielfalt, Verschmutzung der Meere und Flüsse, Verschlammung, Bevölkerungsverluste durch Überflutungen, Gesundheitsschäden und zivilisatorischer Kollaps ... auf systemweitem, strukturellem Niveau seit 5000 Jahren" (p. 1), d. h. seit Entstehung der Klassengesellschaft.

Jenseits sozialer Prozesse zeigt die Natur die absolute Grenze auf für eine "expansionistische Dynamik" (p. 2). Denn ob die Wechselwirkung zwischen Kultur und Natur in Umweltzerstörung mündet oder nicht, ist letztlich eine Frage der Geschwindigkeit: Da die Natur eine erhebliche Regenerationsfähigkeit besitzt, erfolgt die Zerstörung der Umwelt erst dann, wenn die kulturelle Verwandlung der Natur schneller erfolgt als ihre Regeneration (p. 3) (Fußnote:Wird eine Ressource "nicht schneller ausgebeutet, als ihrem eigenen Regenerationstempo entspricht", so spricht man von Nachhaltigkeit (Diamond 2009: 251). 2).

Nach Chew ist der "Zwang zur Erzeugung von Mehrprodukt" (p. 1) die mit Abstand wichtigste Quelle der Umweltzerstörung schlechthin. Als nächstwichtige Ursache benennt er die Urbanisierung und als letztrangige das Bevölkerungswachstum. Hierbei ist wesentlich, dass die Urbanisierung selbst bereits Folge der Mehrprodukterzeugung ist! (p. 2). Die Trennung von Stadt und Land mit ihren verheerenden Auswirkungen auf die Ökologie ist selbst unmittelbare Konsequenz der Klassengesellschaft. Die Urbanisierung (Stadt - Land - Trennung) selbst ist zerstörerisch, weil sie von enormem Ressourcenverbrauch begleitet ist, die umgebende Landschaft zerstört sowie Seuchen begünstigt und ungesunde Lebensverhältnisse hervorruft (p. 3). Bevölkerungswachstum beeinflusst die Umwelt erheblich, aber nicht per se, sondern nur dann, wenn regulatorische Funktionen in der Kultur verloren gehen, weil die Ökonomie der Gesellschaft ausbeuterische Formen annimmt. Insbesondere ist es "kein Prinzip, dass alle sozialen Systeme mit großer Bevölkerung die Natur zerstören" (p.3).

Chews allgemeine Schlussfolgerung lautet:

"Ökologische Zerstörung ist die Konsequenz kultureller Lebensweise und ökonomischer Organisationsprinzipien." (p. 3).

Da das elementare ökonomische Organisationsprinzip aller Klassengesellschaften die Mehrprodukterzeugung ist (Mandel 2007: 42), die Mehrprodukterzeugung wiederum die Hauptursache der Umweltzerstörung und der ebenfalls destruktiven Urbanisierung ist, bedeutet dies, dass Klassengesellschaften notwendigerweise ökologisch zerstörerisch sein müssen. -

Dies wohlgemerkt ist nicht Resultat abstrakt - logischer Überlegungen, sondern Ergebnis systematischer, empirischer Untersuchungen an den unterschiedlichsten Klassengesellschaften der letzten 5000 Jahre!

Chews Untersuchung ist jedoch nicht ganz vollständig. So fehlt das alte Ägypten. Allgemein bekannt ist jedoch, dass Ägypten in großem Maßstab Zedernholz aus dem Libanon importierte als Baumaterial für Schiffe, Herrschaftsarchitektur (Paläste, Tempeldächer) und zur Herstellung von Öl zur Mumifizierung der Angehörigen der herrschenden Klasse. Damit war auch die herrschende Klasse Ägyptens verantwortlich für den katastrophalen Waldverlust des Libanon (Libanon 2010). Auch betrieb das alte Ägypten auf der Sinai - Halbinsel Kupferminen und Schmelzöfen, die große Mengen an Holz verbrauchten in einem Ökotop mit äußerst geringer Regenerationsfähigkeit (Rothenberg 1973). Die Produktion von Mehrprodukt für die herrschende Klasse des alten Ägypten wirkte also ebenfalls zerstörerisch auf die Ökosphäre, nur eben nicht in Ägypten .

Ebenso fehlt in Chews Studie der europäische Feudalismus, der jedoch durch die oben erwähnte Arbeit von Bowlus (1988) abgedeckt wird. Deren Resultate fügen sich nahtlos in Chews Aussagen ein, wobei Bowlus ein weiteres, ökologisch zerstörerisches "ökonomisches Organisationsprinzip" diskutiert, welches Chew nicht explizit aufführt - die Konkurrenz.

Da Chew für seine Untersuchungen schriftliche Quellen voraussetzt, fehlen bei ihm auch die indianischen Klassengesellschaften des vorkolumbianischen Amerika, die entweder keine Schrift entwickelt hatten oder deren Schriften später durch die europäischen Eroberer vernichtet wurden. Insofern stellt Diamonds Buch "Kollaps" eine wichtige Ergänzung dar, weil hier die ökologische Wirkung verschiedener, schriftloser Gesellschaften auf Basis archäologischer Daten vorgestellt wird (Diamond 2009). Insbesondere untersuchte er die Klassengesellschaften der Maya in Mittelamerika (pp. 199 - 224) und der Anasazi im Südwesten der heutigen USA (pp. 173 - 198). Da beide Gesellschaften genau wie alle anderen Klassengesellschaften auf der Aneignung des Mehrproduktes durch die herrschende Klasse basierten, verwundert es nicht, dass alle Mittel eingesetzt wurden, um das Mehrprodukt zu steigern, insbesondere die Schaffung neuer Anbauflächen durch Rodung, Übernutzung der Böden durch Raubbau bis zur Erosion, einhergehend mit ständig steigender Ausbeutungsrate, und im Falle der Maya noch verbunden mit endemischer Kriegführung. So führten bei den Maya soziale wie ökologische Katastrophen dazu, dass gegen 800 AD innerhalb weniger Jahre 90% der Bevölkerung "verschwanden" und die Kultur zusammenbrach. Im noch traumatischeren Falle der Anasazi ernährten sich die Bauern in den wenigen Jahren vor dem Verlassen der Siedlungen zuerst davon, dass sie auf ihren verderbenden Feldern Mäuse fingen und diese nach Abtrennen des Kopfes vollständig verschlangen, während die Führungsschicht weiterhin wohlgenährt blieb und in Luxus lebte, und zuletzt ernährten sie sich von ihren Mitmenschen.

In beiden Fällen finden wir apokalyptische Bestätigungen der allgemeinen Schlussfolgerungen Chews am Beispiel zweier Kulturen, die er selbst nicht untersucht hatte.

Bürokratisch geleitete Gesellschaften

Allerdings fehlen in Chews Bericht auch die nichtkapitalistischen, bürokratisch geleiteten Gesellschaften, wie sie in Osteuropa und Asien im 20. Jahrhundert kurzzeitig bestanden hatten. Die Umweltzerstörung durch Letztere, welche den kapitalistischen Verheerungen der gleichen Zeit in Nichts nachstanden, sind ebenfalls gut dokumentiert (Engert 2010: 67 - 82). Insbesondere "die Austrocknung des Aralsees, die Vergiftung des Baikalsees, das Waldsterben im Riesengebirge und nicht zuletzt die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die die Menschheit noch die nächsten 40.000 Jahre beschäftigen wird", gehören zu den "größten Umweltdesastern der Neuzeit [und] waren in der ehemaligen UdSSR und ihrem Einflussgebiet zu verzeichnen (und sind es heute z. B. in China)" (p. 67). Der Einsatz von Atombomben für Infrastrukturmaßnahmen (p. 77), die Vergiftung von 1,4 Millionen Menschen durch Pestizide und Entlaubungsmittel (p. 76f) und - wie so oft - die Verheerung durch Bergbau (p. 72f) waren direkte Ergebnisse der stalinistischen Kommandowirtschaft.

Hauptursache der Zerstörung war die autoritäre Planung der Wirtschaft durch eine kleine Gruppe von Personen, die jede Beteiligung durch Betroffene, jede Kritik und damit auch jede Rückmeldung über die Folgen der Planung verhinderte. Wenn 40 - 45 % der Gesamtproduktion vergeudet wurden (Mandel 2000: 51), bedeutet dies nichts anderes als dass entsprechend mehr produziert werden musste, nur um den absurden Planungsprozess zu "finanzieren" (z. B. p. 45). Umweltzerstörung war wesentliche Folge der Fehlplanung, die ihrerseits Folge der undemokratischen Kommandowirtschaft war.

Zu dieser Vergeudung durch fehlerhafte Planung kam jedoch außerdem noch die Notwendigkeit zur Erzeugung eines Mehrproduktes hinzu, denn die Privilegien der Bürokratie, einer herrschenden Klasse nicht sehr unähnlich, mussten ebenfalls erwirtschaftet werden (pp. 78 - 80, 41), genauso wie die Erfordernisse der Rüstungsindustrie oder rein politisch begründete Prestigeprojekte.

Bürokratisch geleitete Gesellschaften begegnen uns im historischen Prozess noch an einer ganz anderen Stelle, nämlich beim Übergang vom neolithischen (Ur)Kommunismus zu den bronzezeitlichen Klassengesellschaften. Die zunehmende Nutzung der Metalle für die Werkzeugherstellung führte ab 4000 BC zu einem sprunghaft ansteigenden Bedarf an Kupfer (Hauptmann und Weißgerber 1985: 21). Metallbearbeitung verlangt Vollspezialisierung (Mandel 2007: 41), wie dies bereits in der frühesten Kupferproduktion nachweisbar ist. Schon die Kupferminen des frühen 4. Jahrtausends werden beschrieben mit den Worten: "Man hat gewissermaßen ein in sich geschlossenes Kupfer - Industriegebiet vor sich ... Die Gesellschaftsform beruhte auf der Arbeitsteilung zwischen der Jagd, dem Nahrungsmittelanbau und der Kupferproduktion." (Rothenberg 1973: 56, 61). Die Arbeitsteilung ergriff schnell die anderen Produktionszweige (Grünert 1982: 214 - 225). In einer arbeitsteiligen Gesellschaft ohne Geld bestand das Problem, wie die Menschen mit jenen Gütern versorgt werden konnten, die sie nicht selbst produzierten. Gelöst wurde das Problem architektonisch durch Bau zentraler Speicheranlagen, in welchen die Überschüsse der einzelnen Produktionssparten zentral gelagert und verteilt wurden an jene, die gemäß der Arbeitsteilung andere Güter herstellten. So kamen trotz Arbeitsteilung alle in den Genuss aller Güter. Da es sich hierbei um eine Rückverteilung handelt, wird diese Ökonomie als redistributiv bezeichnet (Halstead 1992). Die zentralen Lagerhallen waren die Keime der späteren Tempel und Paläste und um sie entstanden die ersten Städte, getrennt von den eigentlichen Produktionsorten, den Dörfern. Das Personal dieser Lager verwaltete und verteilte die gelagerten Güter, und aus 'Input' und 'Output' folgten direkt die Anweisungen an die Produzenten.

Wir haben eine reine Bürokratie vor uns, deren Aufgabe die zentrale Planung der Wirtschaft war!

Die Bürokratie bereicherte sich, indem sie das Mehrprodukt direkt den Lagerhallen entnahm, also nicht durch Privateigentum an Produktionsmitteln, sondern durch den Eingriff in die Distribution - genau wie die Bürokratie in den nichtkapitalistischen Staaten des 20. Jahrhunderts.

Resultat dieser Entwicklung war nicht nur die Entstehung der Klassengesellschaft 1000 Jahre später, sondern auch die Verwüstung des vorderen Orients. Um Brennmaterial zur Befeuerung der Schmelzöfen für die Kupfererzeugung zu gewinnen, wurden nicht nur die Wälder geopfert, sondern noch die letzten Sträucher aus dem Boden gerissen. Noch 5000 BC waren Nordsyrien, Nordirak und Ostanatolien mit dichten Eichenwäldern bedeckt - doch mit Beginn der Kupfergewinnung zeigen die archäologischen Funde, was aus den Wäldern wurde: Holzkohle (Willcox 1973, 2002).

Denn je größer die Kupferproduktion eines Gebietes war, umso größer wurde der Reichtum der Region, der sich letztlich in den Lagerhallen anhäufte. Kein Wunder, dass an diesen Lagerhallen Tempel errichtet wurden und der Bürokrat die Gestalt des Priesters annahm. Die eigentlichen Produzenten aber hatten keinerlei Einfluss auf die Ökonomie. So resultierte auch das Kommando der Bürokraten über die Wirtschaft des 4. Jahrtausends in einer ökologischen Katastrophe. Ein gewaltiges Gebiet wurde verwüstet - und blieb es bis heute!

Gesellschaften mit flacher Hierarchie

Nach Klassengesellschaften und bürokratisch geleiteten Gesellschaften verbleiben an Gesellschaften der Ungleichheit nun nur noch jene mit "flacher Hierarchie", im wesentlichen Häuptlingstümer. Ein gut untersuchtes Gebiet, welches ausschließlich in Häuptlingstümer gegliedert war, war das bronzezeitliche Europa (mit Ausnahme des mykenischen Griechenlands, das zu den Klassengesellschaften gehörte). Der Archäologe Joseph Bergmann, der "Die metallzeitliche Revolution" zum Thema seines Buches machte, gab diesem passenderweise den Untertitel "Zur Entstehung von Herrschaft, Krieg und Umweltzerstörung" (Bergmann 1987). Er belegt detailliert, wie auch in Europa mit Beginn der Metallnutzung Konkurrenz, Prestige und die private Aneignung von Mehrprodukt durch die lokalen Häuptlinge zur Entwaldung und zur irreparablen "Verwandlung von qualitätvollem Boden in einen der unfruchtbarsten" führte (p. 119).

Eine andere, gut untersuchte Umweltzerstörung durch einfache Häuptlingstümer bietet uns die Osterinsel im pazifischen Ozean (Diamond 2009: 103 - 153). Die Osterinsel war vor der Ankunft der Polynesier dicht bewaldet, doch nach wenigen hundert Jahren waren alle Bäume abgeholzt (Fußnote :Thesen, die Waldvernichtung habe andere Ursachen gehabt, (Klimawandel, gehäufte El - Nino - Phänomene, Vertilgung der Palmsamen durch die von den ersten Siedlern mit eingeschleppten Ratten) konnten widerlegt werden (Mieth und Bork 2004a: 293 - 287; 2004b: 73 - 79). Da die Insulaner nach dem Fällen der Bäume die im Boden verbliebenen Baumstümpfe verbrannten, ließ sich durch die gefundenen Reste genau bestimmen, wann ein konkreter Baum gefällt wurde. Damit konnten Fläche, Zeitpunkt und Geschwindigkeit der Rodungen ermittelt werden. Die vollständige Abholzung von 16 Millionen Palmen innerhalb von 100 Jahren war ein Werk der Menschen (Mieth und Bork 2004a, b). 3) - mit katastrophalen Folgen für die Gesellschaft. Ohne Holz gab es keinen Brennstoff mehr und kein Material für den Schiffsbau, so dass die Fische des Meeres als Nahrungsquelle nicht mehr zugänglich waren. Mit dem Verschwinden der Bäume verschwanden auch deren Früchte und es kam zu starker Bodenerosion. Die intensive Bejagung der Tiere, insbesondere der auf dem Boden brütenden Vögel, bewirkte deren Ausrottung, und zuletzt blieben zur Ernährung im Wesentlichen Ratten - und andere Menschen (pp. 138 - 140). Die Bevölkerung reduzierte sich um 90% (p. 152).

Das Abholzen der Wälder auf der überschaubaren Insel verunsicherte zahlreiche Wissenschaftler, die das Schicksal der Inselbewohner untersuchten, denn - wie eine Archäologin es formulierte: "Derjenige, der den letzten Baum fällte, hat doch gesehen, dass es der letzte war."

In der Tat erscheint ein solches Vorgehen für eine geschlossene Gesellschaft in einem begrenzten Lebensraum unlogisch. Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die Gesellschaft nicht geschlossen, sondern in zweifacher Hinsicht gespalten war: zum einen sozial in Häuptlinge und "gemeines Volk", zum anderen geografisch in verschiedene Siedlungsgebiete. Die Osterinsel war in elf oder zwölf Territorien unterteilt, an deren Spitzen die Häuptlinge und deren Familien standen. Diese Häuptlinge konkurrierten um Prestige, das sich in der Aufstellung gewaltiger, steinerner Figuren äußerte (p. 120f).

Das Prestige eines Häuptlings und seines Stammes war umso größer, je größer die errichteten Statuen waren und je zahlreicher. Denn darin äußerte sich ja der gesellschaftliche Reichtum eines Stammes: Die Herstellung der steinernen Kolosse verschlang das erwirtschaftete Mehrprodukt (p. 131), so dass Zahl und Größe der Statuen vom Mehrprodukt eines Stammes und damit von seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kündeten. Deshalb war das Prestige eines Häuptlings abhängig von seinen steinernen Figuren. Da aber zum Transport der Steinstatuen vom Steinbruch bis zum Aufstellungsplatz sowie zur Aufrichtung der etwa zwölf Tonnen schweren Figuren (p. 130) erhebliche Mengen an Baumstämmen notwendig waren, mündete die Konkurrenz um die meisten Statuen unmittelbar in die Konkurrenz um den größten Holzverbrauch (pp. 147 - 152). In den steinernen Figuren verkörperte sich sowohl die Ausbeutung der Menschen als auch die der Ressourcen. Damit wird auch klar, was derjenige dachte, der den letzten Baum fällte. Er dachte: "Wenn ich es nicht tue, dann tut es ein Konkurrent". Gerade bei der erschöpfenden Ausbeutung nicht erneuerbarer, begrenzter Ressourcen spielt die Konkurrenz eine Schlüsselrolle, wie wir auch in Klassengesellschaften sehen. Sei es der Kampf um Ölfelder im Polarmeer, das Ausschlagen von Edelhölzern in Regenwäldern oder die Verfolgung der letzten Fische in den Weltmeeren: In einer auf Konkurrenz beruhenden Gesellschaft bedeutet die Schonung einer verknappenden Ressource nichts anderes als sie den Konkurrenten zu überlassen.

Häuptlingstümer sind nicht in allgemeiner Weise zu behandeln wie Klassengesellschaften oder Bürokratien, da sich sehr verschiedenartige Strukturen unter dieser Bezeichnung verbergen. An einem Ende des Spektrums stehen Gesellschaften mit Häuptlingen, die für gewisse Zeit gewählt sind, enorme Aufgaben und wenig Einfluss haben. Faktisch sind sie moralische Instanzen oder integrative Persönlichkeiten in naturwüchsigen, egalitären Gesellschaften, so in afrikanischen Stämmen der Buschleute und Pygmäen (Herbig 1986: 268 - 300). Am anderen Ende des Spektrums stehen Häuptlingsgesellschaften wie die der Normannen auf Grönland (Diamond 2009: 225 - 345), die sich auch als degenerierte Formen von Klassengesellschaften darstellen. Das Beispiel der Osterinsel wiederum lehrt uns, dass Strukturen, die unter "normalen" Umständen problemlos funktionieren, unter besonderen Umständen vollständig versagen können. Während die typischen Häuptlingstümer Polynesiens meist nachhaltig wirtschafteten, entwickelte dieselbe Organisationsstruktur unter spezifischen geografischen Bedingungen (vollständige Isolation) und spezifischen sozialen Bedingungen (Entstehung von Konkurrenz) eine selbstmörderische Dynamik.

Aufgrund der sozialen Heterogenität der Gesellschaften, die unter dem Begriff "Häuptlingstümer" subsumiert werden, können wir nur die ökologischen Auswirkungen einzelner , d. h. konkreter Häuptlingstümer betrachten, nicht aber die des verallgemeinerten Häuptlingstums. Insofern es sich dabei um echte hierarchische Gesellschaften mit einer realen Machtausübung "von oben" handelt, finden wir entweder die gleichen destruktiven Tendenzen wie in Klassengesellschaften (bronzezeitliches Mitteleuropa), oder die zerstörerische Wirkung des Konkurrenzprinzips tritt deutlich zutage (Osterinsel) - deutlicher als in der Konkurrenz der Feudalherren des mittelalterlichen Europas (Bowlus 1988).

Erinnern wir uns an Chews allgemeine Schlussfolgerung - "Ökologische Zerstörung ist die Konsequenz kultureller Lebensweise und ökonomischer Organisationsprinzipien" -, so zeigen uns die einfacheren Gesellschaften deutlicher als die komplexeren, wie neben den ökonomischen Organisationsprinzipien (Mehrprodukterzeugung, Stadt - Land - Trennung, Kommandowirtschaft, Konkurrenz) auch die spezifische kulturelle Lebensweise Umweltzerstörung bewirkt.

Egalitäre Gesellschaften in der Levante ...

Alle bisher betrachteten Gesellschaftsformen, seien es Klassengesellschaften, Bürokratien oder Häuptlingstümer, haben eines gemein: Es sind Gesellschaften der Ungleichheit, hierarchische Gesellschaften.

Es bleibt also die Frage, wie egalitäre Gesellschaften ihre Umwelt beeinflussen. Dabei geht es nicht um naturwüchsige , egalitäre Gesellschaften, wie wir sie bei zahlreichen Jäger- und Sammlervölkern vorfinden. Denn diese Gesellschaften haben sich über lange Zeiträume in ihrer spezifischen Naturumgebung entwickelt. Es hat eine Koevolution der Kultur und der umgebenden Natur stattgefunden, so dass derartige Völker hervorragend angepasst sind an ihre natürliche Umwelt.

Relevant ist vielmehr, wie in einer Revolution erkämpfte, bewusst geschaffene, egalitäre Gesellschaften auf die Natur einwirken. Denn derartige, aus einer Revolution erstandene Gesellschaften sind zwangsläufig "belastet" durch die Kultur der vorangegangenen, nicht - egalitären Epoche. Revolutionen bewahren die kulturellen Errungenschaften im Unterschied zu barbarischen Transformationen. Kulturelle Errungenschaften allerdings sind kritisch zu betrachten, denn ihnen kann zerstörerisches Potential innewohnen, wie wir noch sehen werden.

Die einzige Stelle, an der Beobachtungen an erkämpften, egalitären Gesellschaften möglich sind, ist der vordere Orient. Dort bestand von 9.600 BC bis 7.200 BC in Ostanatolien / Nordsyrien und in der Levante (Fußnote :Als Levante gilt der Bereich des südlichen Syrien, Libanon, Israel, Palästina und Jordanien. 4) eine hierarchische Gesellschaft, die in ihrem letzten Stadium (ab 8.600 BC) zu einer Klassengesellschaft zugespitzt war (für Anatolien: Yakar 2003: 442, für die Levante: Gebel 2004: 48), wobei sich die Existenz von Privateigentum an Produktionsmitteln und die Spaltung der Bevölkerung in einen besitzenden und einen arbeitenden Teil sogar unmittelbar aus der archäologischen Fundsituation ergibt (Davis 1998). Diese prähistorische Klassengesellschaft wurde 7.200 BC in Anatolien, 300 Jahre später auch in der Levante (Gebel 2004: 47) durch eine Revolution überwunden und es entstanden egalitäre Gesellschaften (Özdogan 1997: 13 - 17, 33, Perles 2005: 285f) (Fußnote :Für einen Überblick über die prähistorische Klassengesellschaft und die soziale Revolution 7.200 BC in Ostanatolien siehe (Brosius 2004, 2005). 5). Levante und Anatolien entwickelten sich unabhängig voneinander weiter (Stordeur 2004), so dass wir die Auswirkungen zweier verschiedener, egalitärer Gesellschaften auf ihre Ökosphäre untersuchen und miteinander vergleichen können.

Die für die weitere, ökologische Entwicklung relevante kulturelle Besonderheit der ursprünglichen Klassengesellschaft vor 7.200 BC war, dass auch diese Gesellschaft bereits zerstörerisch in ihre Umwelt eingegriffen hatte, und zwar - wenig überraschend - durch Entwaldung. Denn schon damals gab es die Technologie des Kalkbrennens und der Zementherstellung - eine Technik, die später wieder verloren ging. In den Zement mischte man Kalksplit und goss die Masse aus. Nach Erstarren, Schliff und Politur erhielt man so erstklassige Terrazzo-Fußböden (Hauptmann and Yalcin 2001).

In der Levante wurde die Auswirkung des Menschen auf die Ökosphäre detailliert untersucht am Beispiel einer der größten Siedlungen der damaligen Zeit, Ain Ghazal (Rollefson and Köhler - Rollefson 1989), auf dem Gebiet Jordaniens nahe der Hauptstadt Amman gelegen. Gegründet im 9. Jahrtausend BC (Gebel 2004: 47) von etwa 100 Personen, wuchs die Siedlung bis zum Ende der Klassengesellschaft auf fast 3000 Menschen an (Rollefson and Köhler - Rollefson 1989: 76). "Die Herstellung von qualitätvollem Verputz, speziell mittels vergleichsweise primitiver Techniken, wie sie im 8. und 7. Jahrtausend zur Verfügung standen, verbrauchte enorme Mengen an Holz als Brennstoff zum Brennen von Kalk" (p. 76). Ein durchschnittlicher Terrazzoboden benötigte 2,6 Tonnen gebrannten Kalk. Auch wurden die Wände dieser Gebäude mit Kalk verputzt, so dass jedes mit Terrazzo ausgestattete Haus 3,3 Tonnen gebrannten Kalk und zu dessen Herstellung 13,2 Tonnen Feuerholz verschlang. Hierfür mussten sechs Eichen gefällt werden. Da in jenen Gebäuden Pfostenlöcher für vier hölzerne Säulen gefunden wurden, erhöhte sich der Bedarf an Eichen auf zehn Stämme pro Gebäude. Nicht nur Tempel wurden auf diese Art ausgestattet, sondern auch die Wohnhäuser der Oberschicht. Da die Ziegenherden das Nachwachsen von Bäumen verhinderten, addierten sich neue Holzeinschläge zu den bereits entwaldeten Flächen hinzu. Am Ende der Klassengesellschaft, gegen 7.000 BC, waren 35.800 Bäume gefällt und 2000 Hektar Land entwaldet. Um die Siedlung lag ein Ring selbstgeschaffener Wüste von 2,6 km Radius (pp. 76 - 79).

Die Zerstörung der Umwelt ging einher mit der Zerstörung der sozialen Welt. Die Schere zwischen Arm und Reich klaffte immer schneller und immer weiter auseinander, so dass zuletzt außer der besitzenden und der arbeitenden Klasse noch eine völlig verelendete Schicht entstanden war, die 25% der Bevölkerung ausmachte (p. 80). Auch Zeugnisse brutalster körperlicher Gewalt mit Todesfolge fehlen nicht mehr (Rollefson 2000: 173). So geht die Forschung davon aus, dass die Revolution, welche die Klassengesellschaft beseitigte, ausschließlich soziale, nicht aber ökologische Ursachen hatte (Gebel 2004: 50/2).

Das Erbe der vergangenen Klassengesellschaft wog schwer.

Nach der Zerstörung der Umgebung der Siedlung durch die Klassengesellschaft begann nun, nach der Revolution, die egalitäre Gesellschaft die Ressourcen weiter entfernter Gebiete auszubeuten, was auch dort zu Verwüstungen führte. Die Böden in der Umgebung waren in­zwischen soweit erodiert, dass kein Ackerbau mehr möglich war. Deshalb steigerte man den Fleischkonsum. Man hielt mehr und größere Ziegenherden, die das ökologische Problem weiter verschärften, und intensivierte die Jagd. Da im Umland kein Wild mehr leben konnte, jagte man in weit entfernten Gebieten, sogar in der Wüste, was zur Dezimierung oder gar Ausrottung der dortigen Tierwelt führte.

Dennoch wurde die Herstellung der Terrazzoböden beibehalten! Zwar sparte man wegen der langen Transportwege an Holz, indem man auf die Ausstattung der Häuser mit hölzernen Säulen verzichtete. Auch verschwanden die großen Gebäude und alle Häuser bekamen, entsprechend der egalitären Gesellschaftsordnung, gleiche Größe und gleiche Innenstruktur, - aber mit Terrazzoböden! In den 500 Jahren, die der egalitären Gesellschaft noch vergönnt waren, wurden weitere 1200 Hektar Wald abgeholzt (Rollefson and Köhler - Rollefson 1989: 81f).

Bedenkt man, dass in 1000 Jahren Klassengesellschaft 2000 Hektar entwaldet wurden, bedeutet dies, dass in 500 Jahren egalitärer Gesellschaft eine größere Fläche abgeholzt wurde als in 500 Jahre Klassengesellschaft, obwohl inzwischen sogar auf die Holzsäulen verzichtet wurde! Ursache war die schnelle Bevölkerungszunahme in dieser Zeit um weitere 1000 Menschen auf fast 4000 Personen (p. 76 Tab. 2). Diese Bevölkerungszunahme war nicht Ergebnis normalen Wachstums, sondern bereits Resultat des Zusammenbruchs dörflicher Strukturen. Die Bauern verließen ihre Dörfer, die nun von Ödnis umgeben waren, und strömten in die zentrale Siedlung Ain Ghazal (p. 84f).

Umso verheerender, dass die Herstellung der Terrazzoböden nicht beendet wurde!

500 Jahre nach der Revolution war die egalitäre Gesellschaft am Ende. Die Menschen verhungerten, wahrscheinlich beschleunigten Seuchen den Zusammenbruch. Ain Ghazal wurde zur Geisterstadt. Überlebende gründeten einzelne Gehöfte oder kleine Siedlungen weit entfernt oder wurden wieder zu Nomaden (p. 85f).

Die Revolution hatte wohl vermocht, soziale Probleme zu lösen, nicht aber ökologische.

In der Klassengesellschaft war die Herstellung der Terrazzoböden ein Teil der Mehrprodukterzeugung gewesen, denn die Böden wurden nur in den Tempeln und den Häusern der Oberschicht produziert, während gleichzeitig wachsende Teile der Bevölkerung verelendeten.

In der egalitären Gesellschaft gab es jedoch keine Oberschicht mehr, die sich ein Mehrprodukt aneignen konnte. Es war nun die freie Entscheidung der Gesellschaft, alle Wohnungen mit Terrazzoböden auszustatten, d. h. es war allgemeiner Beschluss, nicht die Arbeitszeit zu verkürzen, sondern einen Teil der Zeit auf die Herstellung dieser Fußböden zu verwenden - sicherlich wegen des erheblichen Wohnkomforts, der damit verbunden war.

Die Übernahme einer "kulturellen Lebensweise" aus der alten Klassengesellschaft machte eine bestimmte Form von Luxus und Komfort allen zugänglich, - ignoriert wurde die damit verbundene, letztendlich selbstmörderische Umweltzerstörung. Durch Übernahme einer einzigen, bestimmten technischen Errungenschaft und eines kulturellen Verhaltensmusters aus der alten Klassengesellschaft vollbrachte die egalitäre Gemeinschaft in kurzer Zeit ein kollektives Werk vollständiger Selbstzerstörung.

Dass dieser Weg nicht mit Notwendigkeit beschritten werden musste, zeigt die Entwicklung in Anatolien.

... und in Anatolien

In Anatolien wurden noch während der revolutionären Aufstände die Terrazzoböden zerhackt (Schirmer 1983: 467) und anschließend die Technik des Kalkbrennens nicht weitergeführt, obwohl zwei verschiedene Böden aus späterer Zeit demonstrieren, dass man die Technik "im Prinzip" weiterhin beherrschte (Cessford 2007: 84/2, 85/2).

Eine technische Errungenschaft, die vor der Revolution nur der herrschenden Klasse zugute kam, wurde nach der Revolution in der Levante allen zugänglich gemacht, in Anatolien jedoch aufgegeben. Da Kalkbrennen und die Herstellung von Zement Produktivkräfte sind, bedeutet dies, dass technisch äußerst anspruchsvolle Produktivkräfte in der Levante erhalten wurden und in Anatolien verloren gingen. Wie sich dies auf das Schicksal der egalitären Gesellschaft in der Levante ausgewirkt hatte, haben wir bereits gesehen. Wie entwickelte sich die ökologische Situation in Anatolien?

Die egalitäre Gesellschaft Anatoliens ist besonders gut untersucht am Beispiel der Siedlung Catal Hüyük nahe der heutigen türkischen Stadt Konya. Im Folgenden soll nicht auf die soziale Dimension eingegangen werden, da dies bereits an anderer Stelle getan wurde (Brosius 2004, 2005). Doch auch die Ökologie von Catal Hüyük ist inzwischen gut dokumentiert.

Catal Hüyük wurde 7.400 BC als kleines Dorf gegründet, wuchs gegen 7.000 BC schlagartig auf die fünffache Größe an und war zwischen 7.000 BC und 6.000 BC von bis zu 10.000 Menschen bewohnt (Baird 2005, Hodder 1998: 8/1). In der Anfangsphase 7.400 BC - 7.000 BC stellte man in Catal Hüyük ebenfalls gebrannten Kalk her und verwendete ihn für Terrazzoböden oder Verputze (Cessford 2007: 77/1 - 86/1). Diese Praxis wurde aber bereits gegen 7.000 BC wieder aufgegeben (p. 86/1). Der Leiter der Grabungen, Ian Hodder, vermutet, "dass Terrazzoböden in den frühen Tagen der Siedlung benutzt, aber später aufgegeben wurden, weil ihre Herstellung zuviel Brennstoff verbrauchte" (Balter 1999: 891/2). Dabei entspricht 7.000 BC recht genau dem Zeitpunkt, an dem die klassenlose Gesellschaftsform Catal Hüyük erreicht haben dürfte.

Die Schonung der Wälder zeigt sich aber noch in zwei weiteren Merkmalen:

Zum einen wurde außer Holz auch Ried, Gras und Dung verfeuert (Matthews 2005: 379/2), wobei Dung die Rolle des "prinzipiellen Brennstoffs" (p. 378/2) innehatte. Verkohlter Dung von Ziegen und Schafen wurde gefunden innerhalb der Feuerstellen, in der Asche von Öfen im Haus sowie in der Asche von Öfen und Herden in den Abfallgruben (p. 378/2). Mit der Verwendung von Dung als Hauptbrennstoff aber war die Brennstoffversorgung der Siedlung auf Nachhaltigkeit umgestellt.

Zum anderen wurde das Bauholz recycelt. Die großen Eichenholzbalken, die zum Fachwerkbau notwendig waren, zog man vor Abriss der Gebäude heraus, um sie weiter zu verwenden (Asouti 2005a: 252/2). So wurden noch in den letzten Siedlungsschichten Balken gefunden, deren Datierung zeigte, dass sie sieben Schichten hindurch - 500 Jahre lang! - als tragende Elemente in immer neuen Häusern dienten (Mellaart 1967: 65, 48).

Das ökologische Bewusstsein dieses "neolithischen Kommunismus" ist offensichtlich. Die Bewirtschaftung eines eng begrenzten, ökologisch sensiblen Gebietes durch 10.000 Menschen über 1000 Jahre hinweg führte weder zu Waldverlusten noch zu Erosion oder Verlust von Anbauflächen (Asouti 2005b: 87/2). Mehr noch: Alle Ressourcen, die zu Beginn der Siedlungsgeschichte vorhanden waren, waren am Ende - 1400 Jahre später - immer noch vorhanden (Fairbairn et al. 2005: 192/1, 199/2). Als Ursache wird angegeben, dass die "Haushalte nicht nach Status oder ihrer wirtschaftlichen Leistung beurteilt wurden. Der allgemeine Eindruck ist vielmehr der einer durch und durch egalitären Gesellschaft, die gefestigt ist durch Gebräuche und Traditionen" (Asouti 2005b: 87/2).

Wie uns das Schicksal von Ain Ghazal lehrt, führt dies aber keinesfalls zwangsläufig zu einem bewussten Umgang mit der Natur. In Catal Hüyük jedoch "bildete diese soziale Struktur auch eine starke ökologische Basis ... , welche die Überprüfung von Nachhaltigkeit gestattete" (Asouti 2005b: 87/2). Denn: "Es gibt keine einfache Trennung von Natur und Kultur in Catal Hüyük" (Hodder 2005: 8/1). Die Kontrolle der Gemeinschaft über alle Ressourcen ermöglichte, frühzeitig Schädigungen oder Instabilitäten zu erkennen und so gefährdete Biotope gezielt zu schonen (Asouti 2005b: 87/2). Eleni Asouti, die in Hodders Team die entsprechenden Untersuchungen durchführte, beschreibt mit diesen Ausführungen de facto die ökologischen Vorteile einer demokratischen Wirtschaftsplanung, wenn die Menschen ökologische Aspekte bewusst beachten und in ihre Planung mit einbeziehen !

Im Unterschied zur egalitären Gesellschaft in der Levante gelang es den Menschen in Anatolien (und auf dem Balkan), eine schädliche "kulturelle Lebensweise" der alten Klassengesellschaft hinter sich zu lassen. Auch wenn wir nicht wissen wie , so sehen wir doch dass sich aus der sorgfältigen Beobachtung der Umwelt ein ökologisches Bewusstsein entwickelte, welches in der egalitären Gesellschaft seine Wirkung entfalten konnte. Das Gemeinschaftseigentum an Produktionsmitteln und der kollektive, verantwortungsvolle Umgang mit der Natur machten das Neolithikum in Anatolien und auf dem Balkan nicht nur in sozialer, sondern auch in ökologischer Hinsicht zu einer Ausnahmeepoche in der Menschheitsgeschichte. Der Lohn war die dreitausend Jahre andauernde Entfaltung einer brillianten Kultur in einer stabilen Ökosphäre.

Die Aufgabe der Technologie des Kalkbrennens und der Zementherstellung bedeutete aber nicht, dass die Menschen in Anatolien und auf dem Balkan neuen Technologien prinzipiell ablehnend gegenüber standen. Dies zeigte sich, als zwischen 7.000 BC und 6.800 BC die letzte, große Basisinnovation der Neolithischen Revolution zum Durchbruch kam - die Keramik (Vitelli 1989, 1993). Die ersten Brennöfen für Keramik, die in jener Zeit in Nordgriechenland gebaut wurden, verbrauchten enorme Mengen an Holz. Dennoch verwarf man die neue Technik nicht, sondern hielt mit erstaunlicher Zähigkeit an ihr fest - trotz des enormen Arbeitskräftebedarfs, des enormen Holzverbrauchs und der enorm schlechten Qualität der fertigen Produkte. Es begann ein langwieriges und schwieriges Optimierungsprogramm, an dessen Ende nicht nur hochwertige Produkte standen, sondern auch der Holzverbrauch soweit minimiert war, dass die Keramikproduktion nachhaltig betrieben werden konnte. Das Aufgeben überkommener Produktivkräfte in einer egalitären Gesellschaft ist also nicht mit Technikfeindlichkeit gleichzusetzen. Offensichtlich ist es die Pflicht von "Forschung und Entwicklung" in einer egalitären Gesellschaft, ökologisch schädliche Konsequenzen neuer Produktivkräfte darauf zu überprüfen, ob sie aus Anfangsschwierigkeiten resultieren und durch Optimierung beseitigt werden können oder ob sie prinzipieller Natur sind.

Schlussfolgerungen

Resümieren wir zum Schluss nochmals Chews Kernaussage: "Ökologische Zerstörung ist die Konsequenz kultureller Lebensweise und ökonomischer Organisationsprinzipien" (Chew 2000: 3).

Wie wir gesehen haben, ist die Mehrprodukterzeugung in allen hierarchischen Gesellschaften , ob in Klassengesellschaften, Bürokratien oder Häuptlingstümern, die ökologisch schädlichste aller ökonomischen Organisationsprinzipien. Die Erzeugung von Mehrprodukt ist das Ergebnis der Ausbeutung des Menschen, da hierbei die Arbeitskraft der Produzenten eingesetzt wird zur Herstellung von Produkten, die ihnen vorenthalten bleiben. Doch "die Gebrauchswerte ... sind Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit. Zieht man die Gesamtsumme aller nützlichen Arbeiten ab, ..., so bleibt stets ein materielles Substrat zurück, das ohne Zutun des Menschen von Natur vorhanden ist... Arbeit ist also nicht die einzige Quelle ... des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, die Erde seine Mutter." (Marx 1890: 57f). Anders gesagt: Zur Herstellung von Mehrprodukt ist nicht nur Arbeitskraft notwendig, sondern auch Material, also jene Rohstoffe, die durch Mehrarbeit zu Mehrprodukt umgeformt werden sollen. Garantiert die Ausbeutung des Menschen die Bereitstellung von zusätzlicher Arbeitskraft, so müssen auch die zur Mehrprodukt - Erzeugung benötigten Rohstoffe zur Verfügung stehen. Die Ausbeutung des Menschen geht einher mit einem entsprechenden, zusätzlichen Ressourcenverbrauch, dessen Ausmaß wiederum abhängig ist vom Stand der Produktivkräfte.

Urbanisierung als Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land ist ebenfalls ein ökonomisches Organisationsprinzip, welches sich aufgrund des stark erhöhten Ressourcenverbrauchs als Motor ökologischer Zerstörung auswirkt, allerdings begrenzt auf Klassengesellschaften und bürokratisch geleitete Gesellschaften.

Ein weiteres ökonomisches Organisationsprinzip mit erheblicher zerstörerischer Wirkung ist Konkurrenz, führt sie doch insbesondere zur schnellen und vollständigen und damit irreversiblen Ausschlachtung begrenzter Ressourcen. Konkurrenz ist jedoch nicht notwendig Merkmal hierarchischer Gesellschaften.

Als letztes ökologisch zerstörerisches ökonomisches Organisationsprinzip sei genannt die Vergeudung bei undemokratischer Planung der Wirtschaft ohne Rückmeldung. Im Kapitalismus ist sie gegeben durch die "Anarchie des Marktes", die bewirkt, dass die Rückmeldung erst erfolgt, wenn die Produktion bereits abgeschlossen ist, in zentralistischen Bürokratien durch die unfreie Gesellschaftsform und die Arbeitsteilung zwischen Planung und Produktion.

Kein Wunder also, dass Gesellschaften, in denen mehrere oder gar - wie im Kapitalismus - alle destruktiven Organisationsformen zusammenfinden, eine besonders verheerende Ökobilanz aufweisen. Überdies ist der Kapitalismus die einzige Gesellschaftsformation, in der das Mehrprodukt nicht konsumiert, sondern investiert wird, um mehr Mehrprodukt zu erzeugen (Mandel 2007: 104 - 107).

Ihre destruktiven ökonomischen Prinzipien sind die Ursache dafür, dass Gesellschaften der Ungleichheit seit der letzten Eiszeit den größten Teil der Biosphäre verwüstet oder verarmt oder tiefgreifend umgestaltet haben, was immer wieder zu katastrophalen Störungen biologischer Regelkreise führte und führt. Hierarchische Gesellschaften hätten also nur dann eine Chance, ihre natürlichen Grundlagen nicht zu zerstören, wenn die degradierende Wirkung aller "ökonomischer Organisationsprinzipien" zusammengenommen geringer wäre als die Regenerationsfähigkeit der Natur. Insbesondere die ökologisch verheerende Konkurrenz müsste völlig fehlen. Allerdings müsste dann auch die Oberschicht ihren Drang nach Mehrprodukt - Aneignung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise unterordnen, ein Verhalten, das nicht oft zu beobachten war.

Spezifische "kulturelle Lebensweisen" können die ökonomisch bedingten Umweltschäden modifizieren.

Die Aufhebung der Trennung von Stadt und Land vorausgesetzt, ist das einzige ökonomische Organisationsprinzip einer egalitären Gesellschaft die "Ökonomie der Arbeitszeit" (Marx 1856: 105, 607), also die demokratisch beschlossene Aufteilung der vorhandenen Zeit in Muße und Arbeitszeit sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die Produktion der unterschiedlichen Produkte. Diese Entscheidung über die Aufteilung der zur Verfügung stehenden Zeit ist einerseits durch die elementaren Grundbedürfnisse gegeben, zum größeren Teil jedoch durch kulturelle Bedürfnisse . Sie sind es, die letztendlich entscheiden, ob Terrazzoböden (oder Automobile ?) für das Selbstverständnis einer Kultur essentiell sind oder nicht und folglich produziert werden müssen oder nicht. In egalitären Gesellschaften ist es also umgekehrt wie in hierarchischen. In egalitären Gesellschaften bestimmt die kulturelle Lebensweise die Güterproduktion, und aus ihr folgt das ökonomische Organisationsprinzip, nämlich die Aufteilung der Arbeitszeit. Die Güterproduktion legt gleichzeitig den Rohstoffbedarf und damit die Umweltbelastung fest.

Überspitzt könnte man sagen, dass in hierarchischen Gesellschaften die Ökonomie, in egalitären Gesellschaften die kulturelle Lebensweise die Umweltbelastung determiniert.

In jedem Falle aber bestimmt die Regenerationsfähigkeit der Natur ihre ökonomische Belastbarkeit.

Da die egalitäre Gesellschaftsordnung der Zukunft, gemeinhin Sozialismus genannt, nur aus der ihr vorangegangenen Klassengesellschaft entstehen kann, ist völlig klar, dass die Belastung der egalitären Gesellschaft durch die kulturellen Besonderheiten des Kapitalismus erheblich sein wird. Es braucht nur wenig Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Beibehaltung bestimmter, kulturbedingter Verhaltensweisen auch eine sozialistische Gesellschaft in den ökologischen Kollaps treiben könnte.

Halten wir fest: In hierarchischen Gesellschaften führen Mehrprodukterzeugung, Urbanisierung, Fehlplanung, Konkurrenz oder gar alle zusammen zu Umweltzerstörung - hierarchische Gesellschaften haben keine Wahlfreiheit .

Egalitäre Gesellschaften haben diese Wahlfreiheit. Das heißt aber noch nicht, dass sie auch die richtige Wahl treffen. Dies bedeutet, dass der ökologische Aspekt der egalitären Gesellschaft nicht notwendigerweise innewohnt - egalitäre Gesellschaften können auch durch Raubbau an der Natur realisiert werden - und folglich in den Sozialismus hineingetragen und dort verankert werden muss.

Die Geschichte zeigt, dass ökologisches Bewusstsein durchaus in hierarchischen Gesellschaften entstehen kann. In diesen kann es sich allerdings nicht verwirklichen.

In egalitären Gesellschaften muss ökologisches Bewusstsein mitnichten entstehen. Doch nur in ihnen kann es sein Potential entfalten.

 

Fußnoten

(1) (Zurück zum Text für Fußnote 1) Wie in der Archäologie üblich, erfolgen Zeitangaben vor unserer Zeitrechnung mit dem Zusatz BC, Zeitangaben nach unserer Zeitrechnung mit dem Zusatz AD.

(2) (Zurück zum Text für Fußnote 2) Wird eine Ressource "nicht schneller ausgebeutet, als ihrem eigenen Regenerationstempo entspricht", so spricht man von Nachhaltigkeit (Diamond 2009: 251).

(3) (Zurück zum Text für Fußnote 3) Thesen, die Waldvernichtung habe andere Ursachen gehabt, (Klimawandel, gehäufte El - Nino - Phänomene, Vertilgung der Palmsamen durch die von den ersten Siedlern mit eingeschleppten Ratten) konnten widerlegt werden (Mieth und Bork 2004a: 293 - 287; 2004b: 73 - 79). Da die Insulaner nach dem Fällen der Bäume die im Boden verbliebenen Baumstümpfe verbrannten, ließ sich durch die gefundenen Reste genau bestimmen, wann ein konkreter Baum gefällt wurde. Damit konnten Fläche, Zeitpunkt und Geschwindigkeit der Rodungen ermittelt werden. Die vollständige Abholzung von 16 Millionen Palmen innerhalb von 100 Jahren war ein Werk der Menschen (Mieth und Bork 2004a, b).

(4) (Zurück zum Text für Fußnote 4) Als Levante gilt der Bereich des südlichen Syrien, Libanon, Israel, Palästina und Jordanien.

(5) (Zurück zum Text für Fußnote 5) Für einen Überblick über die prähistorische Klassengesellschaft und die soziale Revolution 7.200 BC in Ostanatolien siehe (Brosius 2004, 2005).

 

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